Stiftung aktuell
16. November 2020

Schulleiterin der Hamfeldschule: „Mein Herz schlägt für diese Schule.“

Foto: © Susanne Freitag

„Unsere Schüler mussten oft schon früh durch schwierige Lebenssituationen gehen. So haben sie beispielsweise Benachteiligung, Armut oder Flucht erlebt“, leitet Schulleiterin Karin Berndt-Schmidt das Gespräch ein. „Die durchlebten Erfahrungen wirken sich sehr unterschiedlich auf das Verhalten der Kinder und Jugendlichen aus. Um ihre soziale und emotionale Entwicklung zu unterstützen, sind für uns vor allem zwei Dinge wichtig: Annahme und viel Raum für Individualität.“

In Bielefeld gibt es 13 Förderschulen. Eine davon ist die Hamfeldschule in Schildesche. Hier werden Schülerinnen und Schüler aufgefangen, die in der Gesellschaft oft anecken. Junge Menschen, die sich anders verhalten als andere Kinder, die sich einreden, sie hätten versagt. Häufig fehlt ihnen die Perspektive und so spielen einige mit dem Gedanken, aufzugeben. Das familiäre Umfeld und die Lebensumstände sind oft kompliziert. Aber es sind längst nicht immer sozial schwache Familien, aus denen die Kinder kommen – wie oft vorschnell vermutet wird.

Förderung der sozialen und emotionalen Entwicklung

Rund 200 Kinder und Jugendliche besuchen aktuell die Hamfeldschule. „Bei uns geht es darum, gesehen zu werden“, beschreibt Karin Berndt-Schmidt das familiäre Miteinander an der Schule. Sie selbst spricht jede Schülerin, jeden Schüler auf dem Schulhof mit Vornamen an. „Wenn Schülerinnen und Schüler aus Regelschulen zu uns stoßen, nehmen wir oft wahr, dass sie selbst kein gutes Bild mehr von sich haben: Sie fühlen sich ausgeschlossen und überflüssig, stören und verhalten sich unpassend. Sie sehen sich auf dem Abstellgleis.“ Wer so von sich denke, sei kaum im Stande, positive Dinge hervorzubringen und sich etwas zuzutrauen. Das wirke sich natürlich auch auf die Lernfähigkeit aus. 

„Unser vorangiges Ziel ist es deshalb, die soziale und emotionale Entwicklung zu stabilisieren“, erklärt Berndt-Schmidt. „Erst dann können die Schüler ihre Lernpotenziale wirklich ausschöpfen.“ 

Erst- bis Zehntklässler werden in der Hamfeldschule unterrichtet

Die gewöhnliche Aufteilung nach Klasse 1 bis 10 gibt es in der Hamfeldschule nicht. Stattdessen gibt es drei Teams: die Unterstufe, die Mittelstufe und die Oberstufe. Die Klassen sind als Familienklassen organisiert. Dabei ist nicht das gleiche Alter entscheidend, sondern das persönliche Miteinander-Auskommen. In gemeinsamen Lernkreisen werden Bedingungen geschaffen, unter denen die einzelnen Schüler am besten Lernen können.

In der Unterstufe teilen sich Erst- bis Viertklässler die Schulbank. „Bei unseren Dritt- und Viertklässlern wirkt es sich sehr positiv aus, wenn deutlich jüngere Kinder den Klassenraum mit ihnen teilen“, erzählt Berndt-Schmidt. „Sie spielen gemeinsam. Werden nach Hilfe gefragt. Müssen Verantwortung übernehmen. Sie sind plötzlich die Großen. Das tut ihrem Selbstwertgefühl sehr gut.“

In der Mittelstufe lernen die Fünft-, Sechst- und Siebtklässler gemeinsam. „Hier beginnt mit der Pubertät oftmals eine schwierige Zeit“, so Berndt-Schmidt. Der Fokus liege deshalb darauf, die Lust auf Schule zu befeuern. Sozialtrainings und erlebnispädagogische Angebote sollen den Schülern helfen, sich als selbstwirksam und erfolgreich zu erleben. Das sei die beste Prävention, um nicht kriminell zu werden oder in den übermäßigen Alkohol- oder Drogenkonsum abzurutschen. Es wird gemeinsam gekocht und gewerkelt. Und dann gehen sie beim Wandern bis ans Äußerste. „Dafür müssen wir nicht erst die Alpen besteigen“, lacht die Schulleiterin. „Der Teutoburger Wald reicht vollkommen aus.“ Drei Tage lang wandern sie dort mit einem erfahrenen Trainer und lernen, über ihre Grenzen hinaus zu wachsen.

Sparkassenstiftung ermöglicht Angebote zur Stärkung der Identität

„Eine besondere Rolle spielen in diesem Lebensabschnitt auch die Selbstwirksamkeit und die eigene Identität. Die Schüler müssen lernen, sich selbst als positiv wahrzunehmen“, erklärt die Schulleiterin weiter. „Deshalb gibt es in dieser Altersgruppe in Zusammenarbeit mit dem Mädchenhaus Bielefeld für die Mädchen einen Selbstbehauptungskurs. Auch für die Jungen gibt es geschlossene Angebote, bei denen es um Schwächen, Grenzen und die eigene Identität geht – oft in Verbindung mit sportlichen Aktivitäten und Selbsterfahrungsaufgaben. „Wir können diese besonderen sozialen Projekte durchführen, weil wir seit vielen Jahren durch die Stiftung der Sparkasse Bielefeld gefördert werden“, ist Karin Berndt-Schmidt dankbar.

Mit Beginn der Oberstufen-Zeit geht es für die Schülerinnen und Schüler um die Perspektiven nach der Schulzeit. „Wir führen in dieser Zeit ein einwöchiges Berufsorientierungscamp durch, laden Partner aus Betrieben ein, organisieren Praktika“, berichtet Karin Berndt-Schmidt. „Dabei kombinieren wir dies immer mit erlebnispädagogischen Angeboten, wie zum Beispiel einem Kletterpark-Besuch, um das Selbstbewusstsein zu stärken und Ängste überwinden zu helfen.“ 

Flexibilität: Die größte Stärke der Förderschulen

„Wir sind in der Gestaltung des Schulalltags sehr flexibel“, ist Karin Berndt-Schmidt überzeugt. „Das ermöglicht es uns, sehr genau auf die individuellen Bedürfnisse unserer Schülerinnen und Schüler einzugehen.“ Karin Berndt-Schmidt ist seit dem Jahr 2000 als Schulleiterin in der Hamfeldschule tätig. Zuvor war sie 10 Jahre lang Fachleiterin in der Lehrausbildung. Ihr Referendariat absolvierte sie an der Blindenschule in Paderborn, ihr Lehramtsstudium mit dem Förderschwerpunkt „Lernen und Geistige Entwicklung“ in Dortmund.

„Nachdem ich über lange Zeit Fachleiterin war, wollte ich unbedingt noch einmal unmittelbar mit Kindern arbeiten“, verrät die Schulleiterin, die gleichzeitig auch ausgebildete Gestalttherapeutin ist. „Hier an der Hamfeldschule habe ich alle Möglichkeiten dazu.“

Die Zeit mit den Schülerinnen und Schülern empfindet sie als besonders wertvoll. Bis zu 15 Stunden unterrichtet sie in der Woche noch selbst. Hinzu kommen Vertretungsstunden. Der Schwerpunkt und ein wichtiger Teil ihrer Arbeit sind Eltern- und Schülerberatungen und die Vernetzung und Kooperation mit diversen Bielefelder Einrichtungen. Und natürlich ist sie auch immer ein Stück weit „Feuerwehr“. Wenn es im Schulalltag zu Krisensituationen kommt, dann ist sie mit ihren besonderen Kompetenzen gefragt.

Vor 11 Jahren gründete Berndt-Schmidt die Schulstation

Eine weitere ihrer großen Leidenschaften: Projekte auf den Weg bringen. Neben einer „Welpengruppe“ für die ganz Kleinen und dem Projekt „Fisch – Familie in Schule“, schlägt ihr Herz besonders für die „Schulstation“. „Zwei Sozialpädagogen und ein Sonderpädagoge kümmern sich hier um die besonders herausfordernden Fälle“, erklärt Berndt-Schmidt. „Schülerinnen und Schüler mit psychischen Erkrankungen, Spielsucht, Angststörungen oder Depressionen, die morgens nicht mehr aus dem Bett kommen, werden von diesem Team eng begleitet. Sie koordinieren mögliche Hilfsangebote, unterstützen sie und ihre Familien, die oft nicht mehr weiter wissen, oder wecken die Schüler und bringen sie zur Schule.“ Vor 11 Jahren hat Karin Berndt-Schmidt dieses Projekt maßgeblich auf den Weg gebracht und ist begeistert von der Entwicklung der Schulstation in den letzten Jahren. Vor allem, weil das Angebot für alle Bielefelder Schulen gelte.

„Mein Herz schlägt für diese Schule und für diese Schulform“, macht die Schulleiterin ihre Begeisterung deutlich. „Viele unserer Schülerinnen und Schüler hätten an einer Regelschule ohne den individuellen Rahmen, den sie bei uns erleben, keine Chance“, ist sie sich sicher. „Das größte Lob für uns ist, wenn die Schüler am Ende ihrer Schulzeit sagen: Früher war ich ganz furchtbar. Und jetzt bin ich richtig gut.“

Fotos: © Susanne Freitag

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